Das sind wir nicht. Warum wir ein verlockendes Projekt absagten.

Behind the scenes

Das sind wir nicht. Warum wir ein verlockendes Projekt absagten.

Ein großer Auftrag, neue Kontakte, eine wertvolle Referenz und ein Reputations-Boost. Dennoch konnten wir nicht anders als abzusagen.

Als eine Businesspartnerin mich fragte, ob ich gemeinsam mit ihr an einer Ausschreibung teilnehmen wolle, zu der sie eingeladen wurde, musste ich nicht lange überlegen. Das Projekt, einem Landkreis hier in Schleswig-Holstein zu mehr Attraktivität zu verhelfen, klang äußerst interessant und nach einer großartigen Chance:

Wir hätten wertvolle Kontakte geknüpft, eine großartige Referenz für unser Portfolio gewonnen und unsere Reputation geboostet. Und wir waren sicher, dass wir ein tolles Konzept hätten erarbeiten können.

Warum wir das Projekt dennoch abgesagt haben.

Go big or go home or …?

Ich gebe zu, dass ich trotz wilder Entschlossenheit und Lust auf das Projekt schon beim ersten Lesen der Ausschreibungsunterlagen klitzekleine Zweifel daran hatte, dass wir als »freies« Team ein Projekt dieser Größenordnung überhaupt hätten stemmen können – nein, anders: Ob wir neben den anderen angefragten (größeren) Agenturen überhaupt als ernstzunehmendes Team gesehen worden wären.

Die Briefingunterlagen waren, das überraschte uns nicht, relativ dröge und voll mit bürokratischen gespickten Anforderungen. Bei jedem zweiten Satz dachte ich: »Wenn da mal nicht eine richtige Agentur im Vorteil wäre.«

Meine Partnerin war da entspannter: »Die kochen auch nur mit Wasser!« Stimmt. Und ein aus Freelancerinnen und Freelancern zusammengestelltes Projektteam kann durchaus Vorteile gegenüber einer festen Agenturmannschaft haben, da spreche ich aus eigener Erfahrung. Die Devise go big or go home hatten wir bereits in anderen gemeinsamen Projekten in die Realität umgesetzt. Also stürzten wir uns motiviert auf die Briefingunterlagen.

Wenn das Fundament wackelt

Nach mehrmaligem Lesen der vom Landkreis bereitgestellten Leistungsbeschreibung kamen uns Zweifel an der bis dato geleisteten Vorarbeit.

So hatte die Arbeitsgruppe bereits Umfragen unter den Landkreisbewohnerinnen und -bewohnern durchführen und statistisch auswerten lassen. Gemeinsam mit Beauftragten diverser Organisationen und Branchen hatte die Arbeitsgruppe auf Basis der Umfrageergebnisse einen verbindlichen Markenkern erarbeitet, der als Grundlage für alle zu erbringenden Leistungen gelten sollte.

Da stimmte etwas nicht, das las sich nicht rund. Unsere größten Zweifel:

  • In den Umfragen fehlte komplett die Außenperspektive: Wie sahen »Outsider« den Landkreis und warum war er für sie möglicherweise nicht interessant zum Leben und Arbeiten? Ohne diese Insights ließe sich in unseren Augen keine wirksame Strategie für die vorgegebenen Ziele erarbeiten.
  • Zum vordefinierten Markenkern schoss uns das Prädikat »Rohrkrepierer« durch den Kopf (no pun intended). Für uns war sofort ersichtlich, dass bei der Erarbeitung des Markenkerns keine kreativ und strategisch denkenden Profis einbezogen wurden. Die hätte es gebraucht – und zwar von Projektbeginn an.
  • Die in den Umfragen ermittelten Probleme waren mit einem Kommunikationskonzept nicht aus der Welt zu schaffen. Eine schlechte ÖPNV-Infrastruktur wird nicht besser, weil eine Marketingkampagne drumherum gebaut wird, die etwas anderes behauptet.
  • Laut Vergabekriterien werden, typisch für die öffentliche Hand, die eingereichten Konzepte u.a. je nach Qualität des Konzepts prozentuiert. Und diese richtet sich im Nadelöhr in erster Linie nach dem Preis, der als Bewertungskriterium noch vor der Kreativität des eingereichten Konzepts steht.
  • Wir sind keine Freunde unbezahlter Pitches. Strategisches Denken und die Konzeption von (Design-)Lösungen gehören zu den wertvollsten Ressourcen, die wir anbieten. Pitches, in denen unsere Entwürfe als Vorabinvestition für einen möglichen Auftrag gesehen werden, passen nicht dazu.

Das Fundament wackelte. Wollten wir darauf aufbauen?

Wir passen nicht zusammen: »That are we not«

Unterm Strich wurde uns klar, dass unsere Werte und Normen nicht zum Auftrag passen, auch wenn das Projekt viel Spaß und lukrative Aufträge hätte bedeuten können.

Das Fundament, auf dem die Arbeitsgruppe die Neuausrichtung des Landkreises aufzubauen gedachte, war in unseren Augen handwerklicher Pfusch (um die Analogie zum Thema Bauen aufzugreifen). Und ein wackeliges Fundament gefährdet die Tragfähigkeit des gesamten Konzepts. Das würde nicht gut gehen.

Hätten wir den Auftrag angenommen, wäre eine Lose-Lose-Situation in unseren Augen die unausweichliche Konsequenz gewesen: Wir hätten während des gesamten Projekts Störgefühle gehabt und wären unzufrieden gewesen, weil wir mit einem Markenkern hätten arbeiten müssen, mit dem wir nicht konform gingen. Das hätte sich unmittelbar in der Qualität unserer Arbeit widergespiegelt. In der Folge wäre der Kunde unzufrieden mit unseren Arbeitsergebnissen gewesen, weil wir die Anforderungen aus der Auftragsbeschreibung nicht hätten erfüllen können.

Unser Fazit

Die Arbeitsgruppe zeigt Eigeninitiative, wo bereits strategisch und kreativ denkende Markenprofis nötig gewesen wären. Das Gefühl, dass der Kunde keine Partner*innen auf Augenhöhe sucht, sondern eine verlängerte Werkbank, die in einem (falsch) vorgegebenen Rahmen kostenfreie Lösungsansätze für Probleme präsentiert, die mit dem geforderten Kommunikationskonzept allein nicht zu lösen sind, führte uns zum Fazit:

Das sind wir nicht.

Oder, wie meine Businesspartnerin immer so schön sagt: »That are we not.« (ein Insider aus der Schublade English for Runaways).